Von September bis Ende November 2020 gestaltete eine Gruppe Inhaftierter der Jugendanstalt Raßnitz eine Fassade der Abteilung 4. Dabei setzten die Teilnehmer den Entwurf nicht nur selbstständig um, sondern entwickelten anhand ihrer Ideen und Vorstellungen 3 Entwürfe und stellten diese den anderen Inhaftierten und den Mitarbeitenden der VZA 4 zur Wahl. Dabei wurden die Teilnehmer von den Leipziger Künstlern Philipp Ludwig-Orlowski und Michael Thieme unterstützt.

Im Folgenden möchten wir den Leser*innen mit den Worten eines Teilnehmenden einen Einblick in den Prozess geben:

Was hast du am Anfang über das Projekt gedacht?

„Ich war negativ eingestellt, da ich hörte, wir dürfen nicht selber mitgestalten. Was sich durch das erste Gespräch zum Glück anders herausstellte und ich hatte dann Lust auf das Projekt, war jedoch skeptisch, ob wir ein Bild entwerfen können, was zum Knast passt und womit man auch zufrieden ist und sich in einer gewissen Form auch damit identifizieren kann.“

Wie haben wir die Entwürfe entwickelt?

„Eigentlich komplett aus unseren Themen und den Dingen, die sich für uns als sehr wichtig darstellen. Unsere ersten Gedanken wurden immer konkreter und wir wollten Symbole und Darstellungen, mit denen wir etwas verbinden, was uns helfen soll, nach unserer Entlassung einen geordneteren und straffreien Weg zu gehen. Beispiel: Flugzeug steht für Freiheit; Felsen für Höhen und Tiefen im Leben usw.. Ich finde auch gut, dass wir komplett nach unseren Vorstellungen die Entwürfe entwickelt haben, ohne von den Künstlern und Sozialarbeitern in eine Richtung gedrängt zu werden.“

Welche Themen finden sich in den Entwürfen? Wie sind wir zu den Themen gekommen?

„Das Thema Familie steht für uns im Mittelpunkt. Generell Themen, die wir mit positiven Sachen in Verbindung bringen, die wir nach unserer Haft erreichen wollen, auch um straffrei zu bleiben. Weitere Themen sind Freiheit, eine Erinnerung, dass es im Leben immer Höhen und Tiefen gibt und wir diese immer überwinden werden, auch wenn es manchmal noch so aussichtslos scheint. Um mal einen sehr unseriösen Hamburger Rapper zu zitieren: „Nach jeder Ebbe kommt die Flut“ – was stimmt. Es kommen auch immer wieder gute Zeiten. Das Thema Chance ist da dann auch ein wichtiges Thema. Nach unserer Haftzeit haben wir immer die Chance, jetzt was anders zu machen. Wir müssen es halt nur wollen. Prinzipiell wurde aber das große Thema Zukunft und die Ziele, die jeder von uns hat: Eine Familie gründen, in Freiheit leben und vor allem straffrei aus den Tiefen kommen. Die Themen kamen von uns allen über die Workshops, die wir immer weiter gesammelt und umgesetzt haben.“

Wie ist die Wahl abgelaufen? Warum haben wir entschieden, dass die Wahl so ablaufen muss?

„Die Wahl lief gut und fair ab. Es gab durch den Kniff, die Reihenfolge der Entwürfe auf den einzelnen Stimmzetteln zu ändern, kaum eine Chance der Manipulation. Jeder konnte eigenständig und selbst entscheiden, welcher Entwurf sein Favorit ist. Nach demokratischen Vorbild kam es dann zu einem Ergebnis. Alles in allem eine sehr gut organisierte Wahl.“

Wie hat dir die Zeit im Projekt gefallen?

„Alles in allem ein cooles Projekt. Ich fand vor allem den Umgang mit uns total chillig. Keine Vorschriften, eine lockere und gute Atmosphäre und wir konnten eigentlich die gesamten Workshops und das Projekt mitgestalten. Keine befremdliche Atmosphäre durch das locker „du“ unter allen. Auch wenn wir keine leichte Truppe sind und viele anstrengende Phasen hatten, war es trotzdem immer ein respektvoller und wertschätzender Umgang, der das Projekt echt als super gelungene Sache darstellt. Man ist für ein paar Stunden einfach mal kein Häftling mit dem Nachnamen als Rufnamen, sondern der, der man auch draußen unter den Kumpels und der Familie war und ist.“

„Ich freue mich über das Endergebnis und auf ein Bild davon, was ich hoffentlich meinen Enkeln später zeigen  und stolz behaupten kann, dass ich nach diesem Vorbild meine Zeit nach der Haft genutzt habe und nie wieder eine Anstalt von innen sehen musste,, da ich aus der ganze Sache gelernt habe. Ich hoffe auch, dass mir das Bild an schlechten Tagen im Vollzug gute und coole Erinnerungen an die Workshops bringt und mir vor Augen führt, dass ich alles dafür tue, nicht wieder in den Knast zu müssen.“

„Leider ist das unsere einzige freie Wand, ich hätte Lust darauf, solche Projekte öfter zu machen.“

Wir danken den Teilnehmern für ihr Durchhaltevermögen, ihre guten Ideen, ihre Offenheit und das unglaubliche Engagement, ohne dass dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre. Auch danken wir Kathrin Jäger und Ellen Seifert, Sozialer Dienst im Vollzug, für ihre Beteiligung. Beide Fachkräfte begleiteten den Prozess vom Projektentwurf bis hin zur fertigen Wand und ermöglichten so eine demokratische Wahl im Straffvollzug. Auch danken wir den Inhaftierten und Mitarbeiter*innen der VZA 4 für ihre Wahlbeteiligung. Wir danken der Jugendanstalt Raßnitz für das uns entgegengebrachte Vertrauen.

Das Projekt startete in diesem Jahr in eine weitere Durchführung. Leider musste die aktuelle Durchführung corona-bedingt kurz vor der Fertigstellung des Wandbildes unterbrochen werden. Sobald sich die Situation verbessert hat, bringen wir die letzten Farben an die Wand!